Rückkehr

Vor exakt einem Monat kam ich zurück. Aus Russland. Dem Land, das zu meiner zweiten Heimat geworden ist und in dem ich viele Freunde gefunden und viele meiner Verwandten kennengelernt habe.
Ich habe den russischen Winter (mit fast -30°C in meiner Stadt) überlebt, habe den schönsten Sonnenuntergang der Welt jeden Abend genießen dürfen (ebenfalls in meiner Stadt), kenne mich mittlerweile ganz passabel in Moskau aus, war im tiefsten Russland, dort, wo die Taiga und Sibirien beginnen und meine Mutter geboren wurde, habe die Eurasische Grenze bei Jekaterinburg überschritten, habe viele Menschen verschiedenster Herkünfte und Kulturen kennenlernen dürfen.

Und jetzt? Was mache ich jetzt?
Jetzt bin ich hier. In Deutschland.

Alles, was ich das letzte Jahr erlebt habe und was ich mir aufgebaut habe, war abrupt vorbei, als ich aus dem Flieger stieg und deutschen Boden betrat.
Plötzlich war ich wieder zurück. Plötzlich war dieser Traum vorbei.
Plötzlich redeten alle um mich herum deutsch und plötzlich merkte ich, dass ich nicht hier hin gehöre.
Ich freute mich unglaublich auf Zuhause, auf meine Eltern und meinen Bruder und darauf Zeit mit ihnen zu verbringen.
Doch die Freude blieb mir vergönnt, weil ich nach zwei Tagen schon zu unserem letzten Seminar musste.
Und auch wenn das Seminar schön war und viele sich nach ihrer Ankunft auch so seltsam fühlten, wie ich, und man sich austauschen konnte – ich wollte einfach nur nach Hause.
Aber kaum Zuhause angekommen (physisch), überkam mich eine Flut an Verantwortung.
Mein Studienplatz war noch nicht ganz sicher, eine Wohnung hatte ich schon gar nicht und überhaupt gar keinen Plan davon, was ich alles erledigen muss, wenn ich doch jetzt anfangen möchte zu studieren. BAföG und Anträge für Stipendien, herausfinden wann die Einführungswoche ist, Sachen für den Umzug packen und all der Kram, um den ich mich kümmern musste (und noch muss) und der mir in dem Moment einfach irreal erschien.
Und es noch immer tut.
Dann kam Besuch aus meiner Heimatstadt. Ein wundervolles Wochenende, keine Frage.
Zum ersten Mal fühlte ich mich auch, als würden meine Eltern mich als vollwertiges Mitglied der Familie behandeln, wie eine Erwachsene. Sie waren stolz auf mich, weil ich ein Jahr in Russland gelebt (und überlebt, haha) habe, die Sprache endlich so gut beherrschte, dass ich bei ihren Diskussionen mithalten und sogar etwas dazu beitragen konnte.
Ein unglaubliches Gefühl! Aber ich wollte weg.
Ich flüchtete nach Berlin, um meinem Bruder einen Besuch abzustatten und ein paar Leute zu treffen.
Aber auch dort war ich nicht glücklich, weil ich wusste, dass ich nur davon laufe.
Ich war ausgelaugt, konnte nicht mehr. Wieso hat uns niemand davor gewarnt, wie schwer es werden würde?

Und jetzt bin ich seit einer Woche wieder Zuhause, tue so, als würde ich mich um all die wichtigen Dinge rund ums Studium kümmern und mache eigentlich nichts anderes, als im Bett zu liegen und zu grübeln.
Zu grübeln darüber, wo ich eigentlich gerade stehe und was zur Hölle ich eigentlich will.
In dem Jahr hat sich einiges verändert und doch irgendwie nichts. Und doch ist es schwer, sich wieder in dieses „normale“ Leben einzufinden und seinen Platz zu finden. Sei es der Freundeskreis oder die Familie – etwas ist anders.
Vielleicht ich? Aber ich wüsste nicht inwiefern.

Aber auch Deutschland hat sich ziemlich verändert.
Wenn ich mir bei Regen meinen Schal um den Kopf binde, werde ich auf arabisch angesprochen. Wenn ich mit meinem Longboard durch die Straßen fahre, schauen mich Frauen mit Kopftüchern entgeistert an und junge Afrikaner rufen mir hinterher. Was ja an sich nicht schlimm ist – es ist nur anders, als vor einem Jahr.
Und überall wird über Flüchtlinge geredet. Die einen sind unglaublich liberal mit einem Hang zu einem etwas verklärten Weltbild und die anderen abgrundtief rechts und verbittert.
Und egal, mit wem man redet – das Thema kommt immer wieder auf.
Und alles, was ich gerade denke ist: ich möchte das nicht.

Ich möchte diese unnötigen Diskussionen nicht, bei denen eigentlich niemand wirklich eine Ahnung hat von dem, was wirklich in der Welt und Politik abgeht. Ich möchte diesen gesellschaftlichen Druck politisch korrekt zu sein nicht. Ständig über alles reden zu müssen, nur nicht über sich.
Und ständig das Gefühl, irgendwas zu verpassen und ständig etwas mit Leuten unternehmen zu müssen, weil bald alle anfangen zu studieren und in ganz Deutschland verteilt sein werden.
Das Gefühl, dass man mit niemandem reden kann, weil alle zu verkopft sind und sich um unwichtige Dinge kümmern.
Kann es nicht mal für ein paar Sekunden um mich gehen?!
Aber das will ich auch nicht. Ich bin nicht so der Mensch, der viel über sich redet.
Am liebsten würde ich mich für die nächsten paar Monate in meinem Bett verkriechen und niemanden sehen wollen. Oder zurück nach Russland, denn da wusste ich wer ich bin und was ich tue – mal mehr, mal weniger.

Hier bin ich jemand, der momentan eher verwirrt ist und Distanz sucht. Zu allem.
Bis ich wieder zu mir gefunden habe.
Es ist seltsam, dass ich mich in dem Land, in dem ich 19 Jahre meines Lebens verbracht habe, plötzlich fremd und unwohl fühle und meinen Platz suche.
Aber ich schätze, so geht es vielen, die ein Jahr im Ausland verbracht haben und dort eine gute Zeit hatten.

 

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