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Rückkehr

Vor exakt einem Monat kam ich zurück. Aus Russland. Dem Land, das zu meiner zweiten Heimat geworden ist und in dem ich viele Freunde gefunden und viele meiner Verwandten kennengelernt habe.
Ich habe den russischen Winter (mit fast -30°C in meiner Stadt) überlebt, habe den schönsten Sonnenuntergang der Welt jeden Abend genießen dürfen (ebenfalls in meiner Stadt), kenne mich mittlerweile ganz passabel in Moskau aus, war im tiefsten Russland, dort, wo die Taiga und Sibirien beginnen und meine Mutter geboren wurde, habe die Eurasische Grenze bei Jekaterinburg überschritten, habe viele Menschen verschiedenster Herkünfte und Kulturen kennenlernen dürfen.

Und jetzt? Was mache ich jetzt?
Jetzt bin ich hier. In Deutschland.

Alles, was ich das letzte Jahr erlebt habe und was ich mir aufgebaut habe, war abrupt vorbei, als ich aus dem Flieger stieg und deutschen Boden betrat.
Plötzlich war ich wieder zurück. Plötzlich war dieser Traum vorbei.
Plötzlich redeten alle um mich herum deutsch und plötzlich merkte ich, dass ich nicht hier hin gehöre.
Ich freute mich unglaublich auf Zuhause, auf meine Eltern und meinen Bruder und darauf Zeit mit ihnen zu verbringen.
Doch die Freude blieb mir vergönnt, weil ich nach zwei Tagen schon zu unserem letzten Seminar musste.
Und auch wenn das Seminar schön war und viele sich nach ihrer Ankunft auch so seltsam fühlten, wie ich, und man sich austauschen konnte – ich wollte einfach nur nach Hause.
Aber kaum Zuhause angekommen (physisch), überkam mich eine Flut an Verantwortung.
Mein Studienplatz war noch nicht ganz sicher, eine Wohnung hatte ich schon gar nicht und überhaupt gar keinen Plan davon, was ich alles erledigen muss, wenn ich doch jetzt anfangen möchte zu studieren. BAföG und Anträge für Stipendien, herausfinden wann die Einführungswoche ist, Sachen für den Umzug packen und all der Kram, um den ich mich kümmern musste (und noch muss) und der mir in dem Moment einfach irreal erschien.
Und es noch immer tut.
Dann kam Besuch aus meiner Heimatstadt. Ein wundervolles Wochenende, keine Frage.
Zum ersten Mal fühlte ich mich auch, als würden meine Eltern mich als vollwertiges Mitglied der Familie behandeln, wie eine Erwachsene. Sie waren stolz auf mich, weil ich ein Jahr in Russland gelebt (und überlebt, haha) habe, die Sprache endlich so gut beherrschte, dass ich bei ihren Diskussionen mithalten und sogar etwas dazu beitragen konnte.
Ein unglaubliches Gefühl! Aber ich wollte weg.
Ich flüchtete nach Berlin, um meinem Bruder einen Besuch abzustatten und ein paar Leute zu treffen.
Aber auch dort war ich nicht glücklich, weil ich wusste, dass ich nur davon laufe.
Ich war ausgelaugt, konnte nicht mehr. Wieso hat uns niemand davor gewarnt, wie schwer es werden würde?

Und jetzt bin ich seit einer Woche wieder Zuhause, tue so, als würde ich mich um all die wichtigen Dinge rund ums Studium kümmern und mache eigentlich nichts anderes, als im Bett zu liegen und zu grübeln.
Zu grübeln darüber, wo ich eigentlich gerade stehe und was zur Hölle ich eigentlich will.
In dem Jahr hat sich einiges verändert und doch irgendwie nichts. Und doch ist es schwer, sich wieder in dieses „normale“ Leben einzufinden und seinen Platz zu finden. Sei es der Freundeskreis oder die Familie – etwas ist anders.
Vielleicht ich? Aber ich wüsste nicht inwiefern.

Aber auch Deutschland hat sich ziemlich verändert.
Wenn ich mir bei Regen meinen Schal um den Kopf binde, werde ich auf arabisch angesprochen. Wenn ich mit meinem Longboard durch die Straßen fahre, schauen mich Frauen mit Kopftüchern entgeistert an und junge Afrikaner rufen mir hinterher. Was ja an sich nicht schlimm ist – es ist nur anders, als vor einem Jahr.
Und überall wird über Flüchtlinge geredet. Die einen sind unglaublich liberal mit einem Hang zu einem etwas verklärten Weltbild und die anderen abgrundtief rechts und verbittert.
Und egal, mit wem man redet – das Thema kommt immer wieder auf.
Und alles, was ich gerade denke ist: ich möchte das nicht.

Ich möchte diese unnötigen Diskussionen nicht, bei denen eigentlich niemand wirklich eine Ahnung hat von dem, was wirklich in der Welt und Politik abgeht. Ich möchte diesen gesellschaftlichen Druck politisch korrekt zu sein nicht. Ständig über alles reden zu müssen, nur nicht über sich.
Und ständig das Gefühl, irgendwas zu verpassen und ständig etwas mit Leuten unternehmen zu müssen, weil bald alle anfangen zu studieren und in ganz Deutschland verteilt sein werden.
Das Gefühl, dass man mit niemandem reden kann, weil alle zu verkopft sind und sich um unwichtige Dinge kümmern.
Kann es nicht mal für ein paar Sekunden um mich gehen?!
Aber das will ich auch nicht. Ich bin nicht so der Mensch, der viel über sich redet.
Am liebsten würde ich mich für die nächsten paar Monate in meinem Bett verkriechen und niemanden sehen wollen. Oder zurück nach Russland, denn da wusste ich wer ich bin und was ich tue – mal mehr, mal weniger.

Hier bin ich jemand, der momentan eher verwirrt ist und Distanz sucht. Zu allem.
Bis ich wieder zu mir gefunden habe.
Es ist seltsam, dass ich mich in dem Land, in dem ich 19 Jahre meines Lebens verbracht habe, plötzlich fremd und unwohl fühle und meinen Platz suche.
Aber ich schätze, so geht es vielen, die ein Jahr im Ausland verbracht haben und dort eine gute Zeit hatten.

 

Ausländer, Migranten und ihre Integration in Deutschland oder: Was zur Hölle ist eigentlich gerade los bei uns?

Dieser Artikel soll sich mit dem Thema „Ausländer in Deutschland“ beschäftigen.
Ich habe schon lange das Bedürfnis etwas zu diesem Thema zu schreiben, da es auch für mich ein sehr emotionales Thema ist und ich denke, dass es heute wohl mehr denn je passt.

Wie manche von euch wissen, bin auch ich ein Kind mit Migrationshintergrund. Gut, der Name Jessica und vor allem mein Nachname lassen nicht unbedingt darauf schließen und auch ich vergesse manchmal (eigentlich ziemlich oft, wenn ich ehrlich bin), dass meine Wurzeln nicht in Deutschland, sondern in Russland liegen.
Meine Eltern sind vor 26 Jahren nach Deutschland gekommen, weil sie sich ein besseres Leben erhofft haben als damals die Sowjetunion zerfiel.
Mein Bruder wurde noch in Kirgisien geboren, war aber erst drei Monate alt, als meine Familie nach Deutschland kam.
(Warum sie das ohne Probleme konnten, erläutere ich gerne nochmal in einem neuen Eintrag).
Außer ein bisschen Deutschunterricht hatten meine Eltern kaum eine Vorbereitung für das Abenteuer, auf das sie sich einließen – jedoch trugen sie in sich die Hoffnung auf ein schönes Leben in dem sagenumwobenen Deutschland, von dem sie nur das beste hörten. Also wanderten sie aus.
So, sechs Jahre später wurde ich geboren.
Mein Bruder und ich gingen ganz normal zur Schule, in einer Kleinstadt in Nordhessen.
Meine Eltern lernten die Sprache ganz fix. Gut, manche Menschen sind diesbezüglich begabter als andere – so kann mein Vater zum Beispiel bei weitem nicht so gut deutsch wie meine Mutter.
Von ihr habe ich auch sprachlich gesehen sehr viel gelernt, viele Ausdrücke und Unmengen an Fremdwörtern, die selbst manch ein Deutscher nicht kennt. Durch sie kam auch mein Interesse für Sprachen auf.
Die beiden waren immer sehr erpicht darauf integriert zu sein, so zu sein wie alle anderen und bloß nicht aufzufallen (gut, das ist irgendwie auch eine typisch russische Einstellung, haha) also suchten sie sich Jobs, bzw. fingen Ausbildungen an und waren immer bemüht gut darin zu sein. Meine Mutter schloss ihre Ausbildung sogar als beste ab in einem Kurs voller Deutscher – und das, obwohl sie nebenbei noch gearbeitet hat und zwei Kinder Zuhause hatte und den Haushalt geschmissen hat. An dieser Stelle: Respekt an dich, Mama!
Und weil den beiden auch wichtig war, dass mein Bruder und ich nicht nur super integriert sind, sondern wir unsere Freizeit sinnvoll gestalten und nicht abrutschen und dass aus uns später mal was wird, haben die beiden uns zum Klavier-, Geigen-, und Querflötenunterricht geschickt, ich besuchte Malkurse, tanzte Ballett, Jazz und Hip Hop und habe an der VHS vor der ersten Klasse begonnen Englisch zu lernen, war Reiten und habe Badminton gespielt. Meine Mutter scheute keine Mühen und ging mit uns in jeder freien Minute ins Theater, Kino, Ballett, Schwimmbad, Schlittschuhlaufen und noch viel mehr und versuchte ihre (russischen) Freundinnen immer dazu zu überreden, dass wir ihre Kinder auch gerne mitnehmen könnten.
Aber denen war es meist egal oder sie wollten die paar Euro nicht verschwenden, ist es doch einfacher und billiger die Kinder vor den Fernseher zu setzen.
Klar, meine Eltern haben sehr viel Geld in mich und meinen Bruder investiert aber seien wir mal ehrlich: bin ich dankbar? Ja. Erkenne ich jetzt nach einigen Jahren den Wert? Auf jeden Fall!
An meiner alten Schule, einem Gymnasium in einer Kleinstadt, gab es wenige Ausländer, obwohl es in der Stadt doch recht viele gibt und ich muss sagen, ich erkenne das Muster: zwei davon waren Brüder, Muslime aus dem Iran. Die anderen beiden waren mein Bruder und ich. Einer von den beiden Jungs ist auch einer der besten Freunde meines Bruders, auch nach Jahren noch. Die Eltern der beiden sind Ärzte, wenn ich mich recht erinnere und haben sich, ähnlich wie meine Eltern, hier ihr Leben aufgebaut und sich integriert.
Kommen wir nun zum Rest der Stadt und einem der Gründe, warum wir später in eine größere Stadt umgezogen sind und einem der Gründe, warum ich denke, dass oft der Wille zur Integration doch wirklich fehlt.
In dieser kleinen Stadt leben zwei Arten von Ausländern: Russlanddeutsche wie wir und Türken.
Ich habe während meiner Schulzeit dort oft gesehen, dass in die fünfte Klasse ein paar Ausländer kamen, aber diese sind nach 1-2 Jahren meist doch wieder abgegangen auf die Real- und Hauptschule.
Mit uns ist so ziemlich meine ganze Familie väterlicherseits mit nach Deutschland gekommen.
Und obwohl alle Kinder jetzt schon fest im Leben stehen und Jobs haben, gibt es doch eine gewisse Auffälligkeit innerhalb der Familie und ebenso russlanddeutschen Freunden der Familie:
eine Großcousine von mir, mein Bruder und ich sind die einzigen, die Abi gemacht haben.
Gut, Abi heißt nicht gleich Erfolg und Geld, wie mir eine andere Cousine gezeigt hat. Ich erinnere mich noch daran, wie sie überlegt hat ihr Abi nach zu machen und ich ihr dazu geraten habe, weil ich zu der Zeit noch dachte, dass man ohne Abitur ja gar nichts im Leben erreichen könnte – dabei verdient sie momentan vermutlich mehr, als 90% der Abiturienten irgendwann in ihrem Leben verdienen werden. So kann’s auch gehen.
Worauf ich aber hinaus wollte ist, dass in der Erziehung deutliche Unterschiede festzustellen sind.
Nicht nur innerhalb meiner Familie, sondern generell auch bei allen Ausländern, die ich je in meinem Leben getroffen habe (und das sind ganz schön viele).
Meiner Meinung nach sieht man immer wieder, welche Eltern die Absicht hatten sich zu integrieren und welchen es schlichtweg egal ist/war, weil man ja doch immer seine Gruppe von Ausländern findet, in die man hinein passt und in der man sich auf seiner Muttersprache unterhalten und die eigenen Traditionen ausleben kann. In der man aber gleichzeitig auch versumpft.
Ich will diesen Standpunkt aber nur zum Teil verurteilen, denn nach 26 Jahren in Deutschland sagen meine Eltern, dass sie trotzdem lieber russische Freunde haben, weil man doch mehr Gemeinsamkeiten hat, über dieselben Themen nachdenkt und redet, sich für dieselben Sachen interessiert, an dieselben Dinge glaubt, dieselben Speisen isst, dieselben Getränke trinkt (haha, ja, Vodka) und einfach Sprache und Kultur teilen kann.
Aber dennoch: der Wille zur Integration war zur richtigen Zeit da, er war da, als es am wichtigsten war – vor allem für uns Kinder. Und wenn man dazu noch dafür sorgt, dass die Kinder nicht auf der Straße rumhängen und so in falsche Freundeskreise geraten und man dann noch Geld in die Bildung des Kindes investiert – was kann dann noch schief gehen?

Ich muss sagen, dass meine Eltern sowas wie ein Patentrezept gefunden haben, wie man sich als Ausländer in Deutschland verhält und vor allem wie man dafür sorgt, dass die Kinder sich integrieren.
Doch seien wir mal ehrlich, die beiden hatten wirklich Glück. Nicht jeder hat das Geld dazu, so viel in die Bildung des Kindes zu stecken.
Betrachten wir mal Fußballvereine und versuchen zu verstehen, weshalb es auch (oder vor allem?) unter ausländischen Kindern zu einem viel geliebten Hobby wird, denn: Fußballvereine sind günstig.
Mit etwa 100-150 Euro im Jahr ist man dabei.
Aber gibt es sonst etwas in Deutschland, was so günstig ist? Meine Eltern haben etwa so viel pro Kind im Monat ausgegeben, auch wenn nicht immer das Geld dazu da war und sie an anderen Ecken sparen mussten, damit aus meinem Bruder und mir etwas wird.
Gut, ich gebe auch zu, dass wir integrationstechnisch relativ Glück hatten, dass wir in einer Kleinstadt aufgewachsen sind. Für uns war das gut, alles war ruhig, meine Mutter hatte die Übersicht darüber mit wem wir befreundet waren, hat Freundschaften zu den Müttern unserer Freunde pflegen können und immer aufpassen können mit wem wir uns umgeben. Zum Beispiel kam es schon 1-2 Mal vor, dass meine Mutter mir riet mit gewissen Leuten nicht befreundet zu sein, weil sie ja alles mitbekam. Und wisst ihr was? Sie hatte bisher immer Recht.
Eine Kleinstadt kann aber auch in die andere Richtung lenken. So versumpfen zum Beispiel viele dort, suhlen sich in ihrer Perspektivlosigkeit, fangen an Drogen zu konsumieren und gehen kaputt am Kleinstadtleben.
Ich denke, das ist ein guter Übergang zu meinem Leben nach dem Umzug in eine größere Stadt.
Ich bin ziemlich froh, dass wir umgezogen sind, auch wenn es anfangs recht schwer war.
Was habe ich in der Großstadt gelernt? Also zunächst mal kam ich in meine neue Klasse und war überrascht, wie viele Ausländer in der Klasse waren, haha. Alles war laut, alles war so durcheinander.
Aber alle waren ziemlich nett zu mir. Ich habe mich witzigerweise recht schnell mit den Ausländern der Klasse angefreundet, was vermutlich Zufall war. Aber je mehr man ins Gespräch kam, umso mehr hat man doch gemerkt, dass da eine gewisse Einstellung gegenüber Deutschen vorhanden war. Man kam gut aus miteinander, wollte aber nichts mit den „Kartoffeln“ zu tun haben – eine Einstellung, die ich vorher noch nie gesehen habe.
Aber an sich war es okay, wie gesagt: man kam trotzdem miteinander aus und naja, es war halt trotzdem noch ein Gymnasium, also ging es noch ziemlich gesittet zu und die Kinder kamen meist aus gutem Hause.
Trotzdem hat man immer wieder gemerkt, dass die Kinder mit Migrationshintergrund sich abheben wollten von den anderen und sich doch manchmal für etwas besseres hielten.
Und jetzt kommen wir zum eigentlichen Thema, dem interessanten Teil meiner Beobachtungen:
Warum bin ich gerade in Russland? Warum dieses Land? Warum bin ich nicht in einem anderen Land wie zum Beispiel Australien, Indien oder irgendein Land in Afrika, so wie die meisten?
Die Frage lässt sich mehr oder weniger leicht beantworten.

Hat jemand von euch Migrationshintergrund? Denn wenn ja, ist der Grund vermutlich leichter nachzuvollziehen.
Als jemand, der in Deutschland aufwächst, in eine deutsche Schule geht, deutsche Freunde hat, deutsche Normen und Werte der deutschen Gesellschaft erlernt ABER in einer russischen Familie aufwächst, die ihre eigenen Normen und Werte, Regeln, Verhaltensweisen, Speisen, Traditionen hat und einfach eine absolut andere Kultur lebt – wie fühlt man sich da?
Ja, ich bin zweisprachig aufgewachsen. Aber ich habe auf die russische Sprache nie wirklich wert gelegt.
Meine Mutter hat meinem Bruder und mir das Lesen und Schreiben auf russisch beigebracht und unsere Eltern reden Zuhause untereinander die meiste Zeit auf russisch – wir antworteten aber immer auf deutsch.
Je älter man wird, umso mehr merkt man jedoch, dass da etwas tief im Inneren nicht stimmt.
Eine gewisse Unzufriedenheit macht sich bemerkbar, ein gewisser Gedanke wird langsam immer klarer im Nebel erkennbar, die Frage „Wer bin ich eigentlich?“ wird von Tag zu Tag immer bedeutender und gleichzeitig belastender.
Ich habe irgendwie nie wirklich bemerkt, dass ich zumindest Zuhause immer wieder angeeckt bin, weil ich immer und immer wieder im Zwiespalt stand zwischen den beiden Kulturen. Außerhalb des Hauses war jedoch immer klar: ich bin deutsch.
Aber weil dieser Zwiespalt immer größer geworden ist und ich wie jeder andere Mensch auch das Bedürfnis hatte herauszufinden wer ich eigentlich bin und woher ich komme, wohin ich gehöre und wohin es mich weiter treiben wird, war für mich klar, dass ich nach Russland MUSS um „meine“ Kultur endlich auf eine andere Weise kennenzulernen.
Und was ich hier festgestellt habe, wird so manch ein Ausländer wohl nachempfinden können:
Auch wenn ich von beiden Kulturen unbewusst sehr viel mitgenommen habe, fühle ich mich hier in Russland deutsch und in Deutschland russisch.
Auch die Leute sehen mich hier als Deutsche. Nur wenige sagen zu mir: „Ach, erzähl nix, eigentlich bist du doch Russin“.
Gut, mein Bruder hatte in Deutschland etwas mehr Probleme als ich
aufgrund seines Vornamens. Der Name „Sergei“ wirkt halt doch etwas anders als „Jessica“ und man kann sich vorstellen, dass man den Leuten dann immer wieder – wenn auch auf perfektem Hochdeutsch und ohne jeglichen Akzent – erklären muss wie und weshalb und wieso.
Aber wir beide haben dieselben Erfahrungen gemacht: als Kind mit Migrationshintergrund ist man ständig auf der Suche. Und zwar auf der Suche nach sich selbst und nach einem Ort, an den man gehört oder einer Gruppe, der man sich zugehörig fühlt.
Letzteres klingelt in euren Ohren? Aha, hab ich es mir doch gedacht.
Das erklärt nämlich einiges, wie ich finde. Zum Beispiel erklärt es, warum es immer wieder vorkommt, dass die zweite Generation der Ausländer (sprich: die Kinder der Migranten) sich zu kleinen Gruppen zusammenschließen, die ihre eigene Dynamik entwickeln. Diese kleinen Gruppen entstehen logischerweise aus einem Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Verständnisses heraus und meist herrscht auch ein gleiches Sprachlevel unter den Mitgliedern einer Gruppe.
Ich zum Beispiel habe auch meine „Russen-Clique“, in der alle Migrationshintergrund haben, weil ihre Eltern vor etwa 25 Jahren aus der zusammenfallenden Sowjetunion nach Deutschland gezogen sind. Ein kleines Beispiel dazu was ich meine: wir haben alle Abi, haben relativ ähnliche Interessen und haben alle etwa dasselbe Sprachniveau im Russischen – unterhalten uns aber die meiste Zeit über auf deutsch, nur wenn es ums Beleidigen geht, dann muss es unbedingt auf russisch sein.
Es ist nur einleuchtend, dass man sich vor allem als Jugendlicher eine Gruppe sucht in die man hinein passt, in der man sich wohl fühlt und in der man auf Verständnis stößt.
So kann ich in meiner Gruppe zum Beispiel darüber reden, dass es mich nervt, dass meine Mutter zehn Mal am Abend anruft um zu fragen wo ich bin und mit wem ich mich rumtreibe und ein Kumpel, sagen wir mal 24 Jahre alt, wird in just demselben Moment von seiner Mutter angerufen und weiß einfach genau wovon ich rede.
Wenn dies aber Überhand nimmt und sich innerhalb der Gruppe eine gewisse Dynamik entwickelt, eine gewisse Haltung, weil man sich einbildet einer der beiden Kulturen doch etwas näher zu sein, dann entwickelt sich langsam und stetig Hass. Hass gegenüber der anderen Kultur.
In den letzten Tagen und Wochen habe ich mir viele Diskussionen zum Thema Flüchtlingspolitik durchgelesen und mir ist aufgefallen, dass einige Deutsche damit argumentieren, dass Ausländer sie beleidigen oder teilweise sogar Gewalt anwenden würden an Schulen, an denen der Ausländeranteil sehr hoch sei.
Aber gehen wir mal tief in uns und fragen uns selbst woran das liegen könnte?
Klar, ich bin zum Beispiel überall mit offenen Armen empfangen worden. Mein Bruder hatte aber aufgrund seines Namens desöfteren Probleme und wurde als „scheiß Russe“ abgestempelt, auch wenn sein Sprachniveau und seine schulischen Leistungen die mancher Deutschen überstiegen und er die russische Kultur bis vor etwa 6-8 Jahren vollkommen ablehnte (er ist jetzt 26 Jahre alt). Den Großteil seines Lebens wollte er als Deutscher verbringen und erst nachdem er gemerkt hat, dass das gar nicht so erstrebenswert ist, wie alle Ausländer immer denken, ist er stolz anders zu sein und stolz die russische Kultur in sich zu tragen.
Und eben das ist der Zwiespalt in dem so viele Ausländer stehen.
Dieser Zwiespalt kann jedoch nicht nur irgendeine Spinnerei in der Jugend sein, nein. Diesen Zwiespalt sollte man unter gar keinen Umständen unterschätzen, da er zu tiefen Persönlichkeitsstörungen führen kann, die wiederum zu anderen psychischen Fehlverhalten führen können, was alles ganz schön blöd enden kann für einen selbst und die Umwelt.
Verstehen wir einmal dies, so finden wir auch langsam Verständnis dafür, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund sich in Deutschland nicht wohl fühlen, sich mit der deutschen Kultur nicht anfreunden können oder wollen. Denn sie stehen jeden Tag dem Zwiespalt zwischen der deutschen und der eigenen Kultur entgegen und manchmal fühlt es sich sogar an, als wäre es jeden Tag ein neuer Kampf, den man nur verlieren kann und der einem die Seele im innersten zerreißt.
Also wem sollen wir jetzt die Schuld geben? Was läuft schief bei uns und wieso sind so viele Menschen in Deutschland momentan so ausländerfeindlich gestimmt?
Letzteres kann ich als jemand mit Migrationshintergrund kaum verstehen. Ich bin dankbar, dass meine Eltern, mein Bruder und ich die Chance bekommen haben in Deutschland unser Leben aufzubauen.
Allerdings habe ich von meiner Mutter oft mitbekommen, dass weniger gebildete oder auch faule Menschen ihr mit Missbilligung entgegen kamen und sie sich oft gehässige Kommentare wie: „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“ anhören musste.
Dazu habe ich neulich einen witzigen aber doch sehr wahren Spruch gelesen:
„Wenn ein Ausländer mit schlechten Sprachkenntnissen und ohne jegliche Bildung es schafft dir deinen Job wegzunehmen, dann musst du echt scheiße sein.“
Generell sollte jeder von uns noch einmal tief in sich gehen und mal einen Blick darauf werfen, woher der Hass kommt. Denn der wird meist doch von den Eltern auf die Kinder übertragen. Die Eltern haben ihn aus dem Fernsehen und die Medien folgen eh der Politik.
Also: geht in euch und schafft all die Vorurteile aus der Welt, die sich in euch angesammelt haben! Vebreitet Liebe und Blumen auf der Welt, wuhuuu!
Nein, so weit müssen wir jetzt nicht gehen. Aber wenn jeder von uns die Situation mal kritisch betrachten würde und sich selbstständig darüber Gedanken machen würde, würden wir vielleicht alle zu anderen Schlüssen kommen und die allgemeine (momentan sehr hetzerische) Meinung der Bevölkerung Deutschlands würde sich vielleicht um einiges bessern.
Mal ehrlich, ich sitze hier in Russland und denke mir: WAS ZUR HÖLLE GEHT GRADE BEI EUCH AB?!
Und nun die letzte Frage: Wem geben wir die Schuld?!
Ich maße mir nicht nicht an zu sagen, dass die Politik, bzw. unsere Regierung schuld ist. Für mich spielen nämlich Erziehung und Bildung eine sehr große Rolle, weshalb für mich in erster Linie immer die Eltern schuld sind.
Sowohl deutsche Eltern, als auch Migranteneltern. Denn die beiden sind schuld, dass wir heranwachsen mit einem gewissen Gedankengut und ohne Verständnis für andere Kulturen und ohne das nötige Empathievermögen, welche uns ein Zusammenleben so sehr erleichtern würde.
Also schämt euch allesamt, sagt euren Eltern, dass sie sich gefälligst schämen sollen und hört mal auf die großen Zeitungen und Fernsehsender zu verfolgen und holt euch vernünftige Quellen, denn wer ist schuld daran, dass eure Eltern euch verkorkst haben und euch einreden, dass Ausländer schlecht seien?
Genau, die Medien. Sprich: unsere Regierung.
Gut, ich habe mich doch ein bisschen hinreißen lassen, ich entschuldige mich. Mir ist klar, dass es in meinem näheren Umfeld niemanden gibt, der etwas gegen Ausländer hat.
Außer meinen ausländischen Eltern, die ebenfalls sehen, wie sich gewisse Ausländergruppen in Deutschland verhalten und eben dies nicht nachvollziehen können, denn.. naja, meine Geschichte habe ich euch ja schon erzählt.
In Deutschland läuft momentan einiges schief und ich muss sagen, dass ich irgendwie froh bin, dass ich gerade nicht da bin. Echt miese Schwingungen, Leute.
Aber ich gebe weder Deutschland noch Ausländern/Migranten/Flüchtlingen die Schuld, sondern beiden Seiten.
Denn selbst Klischees haben irgendwo einen Hintergrund und ich persönlich denke, dass es in der heutigen Zeit den meisten Menschen einfach an Verständnis, Verstand, Vernunft, Empathie und Liebe fehlt. Sonst würde unsere Welt heute definitiv anders aussehen.
Und vergesst nicht: auch ich bin sozusagen Ausländerin in Deutschland.

Ein kleines großes Update

So, nachdem ich das letzte Mal im November etwas geschrieben habe, dachte ich mir, dass es doch wieder mal an der Zeit wäre, ein bisschen zu berichten:
Es ist seit 1-2 Wochen nicht mehr kalt hier, die Sonne scheint und wir haben Plusgrade – langsam geht es bergauf mit den Temperaturen.
Ansonsten ist eigentlich alles super.
Silvester haben wir in Moskau verbracht mit ein paar kolumbianischen Freunden, die wir sehr oft treffen und einem Freund namens Jesse, der aus Kenia kommt und mittlerweile auch ein sehr guter Freund geworden ist.
Seit dem sind jetzt auch schon wieder mehrere Monate vergangen und die Zeit scheint dahin zu fliegen, was uns langsam etwas Angst macht, weil wir uns einerseits sehr wohl fühlen hier und das andererseits heißt, dass man sich langsam mal für Unis bewerben sollte oder zumindest mal wissen sollte, wo man hin will und was man studieren möchte.
Ich für meinen Teil habe mich jetzt bei 5 Unis in Schottland beworben – Architektur soll es sein.
Geklappt hat das leider nicht, sehr schade.
Ansonsten ist hier alles ziemlich verrückt und geht drunter und drüber, gelegentlich gibt es Stress innerhalb der Wohnung und andere zwischenmenschliche Schwierigkeiten außerhalb.
Mittlerweile können wir auch schon von uns behaupten, dass wir die Stadt ganz gut kennen, unsere Lieblingsorte haben und auch einen recht beständigen Kreis an Freunden haben, mit denen wir oft etwas unternehmen.
Man wird jedoch immer wieder konfrontiert mit Situationen, die man sich nie im Leben hätte vorstellen können oder von denen man dachte, dass einem sowas nicht mehr passieren würde, dass man sich gekonnt davon distanziert hätte – vor allem im zwischenmenschlichen Bereich wachsen wir momentan alle immer mehr und lernen uns auf eine ganz neue Art und Weise kennen.

Auf dem Zwischenseminar in Tallinn ist mir dann auch erstmals klar geworden, inwiefern sich mein Weltbild in den ersten sechs Monaten verändert hat. Meine Sicht auf Deutschland ist mittlerweile eine ganz andere und ich merke, dass meine Gefühle bezüglich meiner deutschen Heimat immer wieder schwanken: mal denke ich, dass ich gerne in Deutschland leben würde, aber die meiste Zeit denke ich doch, dass mich gar nichts dahin zieht und dass es noch so viele andere tolle Länder und Städte gibt, die es zu erkunden gilt.
Auch die deutsche Mentalität ist nicht so wirklich das, was mir wirklich zusagt. Durch unseren Austausch mit vielen Menschen vieler verschiedener Kulturen haben wir gelernt einerseits unser Selbstbild als Deutsche und unserer Kultur und Gesellschaft zu hinterfragen und andererseits auch Schlüsse und Vergleiche aus anderen Kulturen zu ziehen.
Anfangs dachten wir, dass wir Deutschen schon ziemlich verkorkst sind in mancher Hinsicht: Arbeit, Freizeit, Beziehungen, Freundschaften.
Andere Kulturen gehen teilweise viel offener damit um, viel herzlicher und ehrlicher.
Das ist meist jedoch nur auf den ersten Blick so, denn durch ihr Weltbild denken sie, dass ihr Weg mit Dingen umzugehen der Ideale ist. Das wirft jedoch allerlei andere – meist zwischenmenschliche – Probleme auf.
Wir konnten mittlerweile feststellen, dass unsere Art mit manchen Dingen umzugehen auf eine eigene Weise ehrlich und offen ist, die manch andere Kulturen vielleicht nicht ganz verstehen können.
Auch haben wir gelernt, ein wenig mehr Stolz zu empfinden.
Wir bekommen hier oft zu hören, wie toll Deutschland doch sei, was für tolle Dinge wir erfunden haben und wie sauber es bei uns ist und wie toll doch alles funktioniert.

Nach acht Monaten in Russland muss man einerseits sagen, dass hier auch nicht alles so schlecht und seltsam ist, wie man vorher dachte und andererseits, dass Deutschland doch viele Vorzüge hat und kleine Extras – ein wenig Luxus, an den man sich halt doch irgendwie gewöhnt hat und den man hin und wieder vermisst.
Vor allem als Veganer, haha.

Meine Arbeit

So, es ist an der Zeit etwas über meine Arbeit zu schreiben.
Ich habe lange damit gewartet, weil sich diesbezüglich einiges geändert hat bei mir.
Anfangs sollte ich nur im Waisenhaus arbeiten und zusätzlich mit einigen Invaliden spazieren gehen, einkaufen, etc.
Weil aber das Waisenhaus sich nicht bei mir gemeldet hat, wurde mir eine neue Arbeit gesucht: im Kindergarten.
Allerdings braucht das Waisenhaus mich jetzt doch ein wenig.
Deshalb sieht es jetzt so aus, dass ich von Montag bis Freitag im Kindergarten bin, in einer Gruppe mit Kindern von 1-3 Jahren.
Und mittwochs und freitags gehe ich ins Waisenhaus, um dort einigen Kindern Nachhilfe in Mathe, Deutsch und Englisch zu geben.
Die Arbeit im Kindergarten gefällt mir sehr, auch wenn ich manchmal nichts zu tun habe, weil Kinder sich ja gut selbst beschäftigen können. Aber wenn ich dann mal helfen kann, beim Essen oder beim Anziehen der Kinder, macht es mir sehr viel Spaß und irgendwie merke ich gerade, dass Kinder ja doch toll sind, haha.
Im Waisenhaus ist es dagegen etwas schwieriger. Die Organisation dort gefällt mir nicht immer so gut, weil es vor kommt, dass ich hin fahre (eine Stunde Fahrt von unserer Wohnung aus) und dann erstmal eine halbe Stunde warten muss, bis die Kinder da sind oder man einfach vergessen hat, dass ich komme.
An sich ist es schön, dass ich dort etwas tun kann – auch weil man dort ja etwas bewirken kann, den Kindern wirklich helfen kann.
Andererseits.. naja, schwer.

Meine andere Arbeit besteht darin, mich um Invaliden zu kümmern.
Da habe ich 2-3 Menschen, die teils meine Hilfe brauchen und teils nur so tun.
Mit Ira, einer 42-jährigen Frau gehe ich jeden Mittwoch nach dem Waisenhaus „spazieren“. Das heißt eigentlich geht sie shoppen und verprasst ihre Rente und kauft sich jedes Mal Tonnen an unnötigem Zeug. Dazu ist sie ziemlich manipulativ und versucht mich mit Geschenken zu bestechen, sodass ich öfter und länger mit ihr „spazieren“ gehe. Letztens hat sie mir 200 Rubel geboten, damit ich noch eine Stunde länger bleibe… 4 Euro.
Das Problem bei Ira ist, dass sie selten bereit ist, wenn ich zu ihr komme. Dann braucht sie eine Stunde um sich fertig zu machen und das geht natürlich alles von der Zeit ab.
Zum Beispiel machen wir aus, dass ich um 16 Uhr zu ihr komme und zwei Stunden bleibe.
Fertig ist sie dann um 17 Uhr und sieht dann nicht ein, dass ich nur zwei Stunden Zeit habe – das ist ihr ein wenig egal.
Dann fängt sie fast an zu weinen und sagt, dass sie nur ein Mal die Woche aus dem Haus kommt und das ist, wenn ich zu ihr komme.
Dann schenkt sie mir einen Mantel, eine Jacke, einen Silberring, Nagellack, Äpfel und sie hat mir schon angekündigt, dass sie mir zu meinem Geburtstag einen großen Blumenstrauß und extra angefertigte Ohrringe schenkt.
Natürlich will ich die Dinge alle nicht annehmen, aber sie hört nicht auf, bis ich Ja sage.
Das ist natürlich alles etwas schwierig für mich, vor allem, weil sie ziemlich fordernd ist und denkt, dass ich verpflichtet bin, mit ihr so viel sie will „spazieren“ zu gehen.
Jedoch steht die Arbeit mit Behinderten nicht in unserer Arbeitsbeschreibung und ist auch gar nicht versichert. Daher ist es eigentlich eine zusätzliche Aufgabe, die wir alle hier machen und die Zeit geht von unserer Freizeit ab.
Das will Ira aber nicht verstehen, egal wie oft man ihr erklärt, dass man das jetzt freiwillig macht.
Meine anderen Invaliden sind aber super! 😀
Und zwar kümmern Jan-Philipp (einer meiner Mitbewohner) und ich uns um eine kleine Familie, bestehend aus: Natasha (eine ältere Frau), Ela (ihre Tochter) und Roman (ihr Enkel – sein Vater ist gestorben und seine Mutter verschollen, deswegen kümmert sie sich um ihn).
Zusammen sind sie eine sehr nett, witzige, aber irgendwie auch grob-humorige Familie, bei der es nie langweilig wird!
Wir reden viel mit ihnen, lernen viele Schimpfwörter, trinken viel Tee und Jan-Philipp wird immer gezwungen etwas zu essen – ich kann ja nicht, weil ich Veganerin bin. Dafür muss er umso mehr essen, haha.
Sie nehmen es mir oft übel, dass ich keine Süßigkeiten zum Tee esse oder keine Suppe, aber ich denke.. langsam gewöhnen sie sich dran!
Meine Aufgaben hier sehen so aus, dass ich hin und wieder vorbei komme, um der Oma zu helfen Roman in die Badewanne zu hieven und freitags gehen Jan-Philipp und ich zusammen hin und entweder geht er mit Roman raus (das kann nur ein Junge, laut deren Auffassung), muss dann erst den Rollstuhl runter bringen und anschließend Roman herunter tragen ODER ich gehe mit Ela raus. Dann muss Jan-Philipp trotzdem mitkommen, weil er den Rollstuhl runter tragen muss und mir helfen muss Ela (auf dem Rollstuhl) Treppen herunter zu bringen.
Allerdings kann sie – zwar beschwerlich, aber dennoch beachtlich gut – Treppen hinunter gehen. Aber klar, wenn sie dann schon mal im Rollstuhl sitzt, kommt sie auch schwer wieder raus und dann ist es einfacher, sie mitsamt Rollstuhl hinunter zu rollen.
Bei dieser Familie bin ich sehr gerne, weil sie witzig sind und herzlich und auch nicht zu viel verlangen – im Gegenteil! Ich muss sogar manchmal noch sagen, dass ich gerne öfter vorbei kommen kann, wenn die bei irgendeiner Sache Hilfe brauchen.
Es ist auf jeden Fall eine interessante Arbeit und es ist sehr interessant zu sehen, wie unterschiedlich manche Menschen mit ihrem Schicksal umgehen und was es auch für Auswirkungen auf ihre Psyche hat.
Zum Beispiel ist Ira ein schlechterer Mensch geworden durch ihre Krankheit. Sie ist egoistisch und selbstsüchtig, egozentrisch, misstrauisch, manipulativ und gemein – auch wenn sie gute Seiten hat, die ich an ihr mag, sind das die Eigenschaften, die leider überwiegen.
Roman und Ela hingegen sind fröhliche und glückliche Menschen. Vor allem Ela lacht sehr viel und reißt gerne Witze und kann auch über sich selbst und ihre Behinderung lachen, was sie zu einem sehr zugänglichen und einfachen Menschen macht, mit dem man gerne redet oder etwas unternimmt.
Ich freue mich sogar jedes Mal, wenn ich zu ihnen gehe, weil es sehr fröhlich zugeht, bei ihnen Zuhause!

Der russische Winter bricht an

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Es ist Mitte Oktober – und es schneit zum zweiten Mal. Diesmal bleibt der Schnee sogar liegen.
Ich war richtig irritiert, als ich gerade aus dem Kindergarten raus kam, in dem ich seit einer Woche zusätzlich arbeite, weil im Waisenhaus doch nicht so viel zu tun war, wie erhofft, aber dazu später mehr.
Auf jeden Fall freuen wir uns gerade ziemlich über den Schnee, weil wir schon so lange keinen mehr gesehen haben, haha.
Allerdings sollte ich mir vermutlich noch Übergangsschuhe kaufen, weil ich nur Turnschuhe und fette Winterstiefel für die richtig kalten Tage habe.
Es ist allerdings sehr seltsam, wie schnell hier das Wetter umschlägt.
Erst wurde von einem Tag auf den anderen Herbst und die Blätter wurden gelb und rot und es wurde kühler.
Jetzt sind die Blätter immer noch bunt und teilweise sogar noch grün und es schneit.. Wie geht das?! 😀

Dieses Wochenende wurden wir auf ein russisches Dorf eingeladen von einem ehemaligen Freiwilligen, der in Essen war.
Morgen früh gehts schon um 8 Uhr los! Das heißt nach deutscher Zeit schon um 6, das wird hart.
Wir fahren scheinbar 3 oder 4 Stunden lang – erst mit dem Zug und dann mit dem Bus.. Wir freuen uns schon sehr darauf, auch wenn es sehr kalt wird am Wochenende! Denn dort werden wir von einer lieben russischen Mama bewirtet.
Ich bin schon gespannt, wie es wird! :-)

Volunteer-Party

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So, nachdem ich jetzt lange nichts mehr geschrieben habe, ein kleines Update!

Heute waren wir auf einer Party der Organisation „Sfera“, die hier hauptsächlich Freiwillige ins Ausland entsendet und aufnimmt.
Es gab ein nettes Programm, dies und jenes, bla bla.
Was daran interessant war, war dass jeder ein kleines Schildchen trug, auf dem das Land stand, aus dem man kommt oder in dem man war.
So haben wir natürlich mal wieder ein paar Leute kennengelernt, die sich für Deutsch interessieren und jemanden kennenlernen wollten, mit dem man sich auf deutsch unterhalten kann – wie irgendwie fast immer hier.
Wir haben bisher seeeehr viele Bekanntschaften gemacht, was langsam ein bisschen anstrengend wird, weil man sich gerne mit einigen treffen würde aber wegen der Arbeit oder anderen Leuten manchmal doch keine Zeit hat.
Blöderweise lernen wir hier allerdings fast ausschließlich Leute kennen, die deutsch sprechen, weshalb wir doch weniger Gelegenheiten haben unser Russisch zu verbessern, als wir dachten.
Außerdem lernen wir hier viele Menschen nur kennen, gerade WEIL wir Deutsche sind und viele gerne ihre eigenen Sprachkenntnisse verbessern wollen.. da fühlt man sich manchmal schon fast ausgenutzt.
Naja.. wie dem auch sei. Wir fangen demnächst wohl an die Spreu vom Weizen zu trennen.
Aber an Kontakten wird es uns hier wohl kaum mangeln, das kann ich guten Gewissens sagen – schließlich lernt man in einer großen Stadt wie Nishnij ja auch wöchentlich so viele Menschen kennen, dass es in ein paar Monaten vermutlich schon schwer wird den Überblick zu behalten, haha 😀
Auf jeden Fall sind wir hier jeden Tag beschäftigt – wenn nicht mit der Arbeit in unseren Einrichtungen oder der Arbeit mit den Invaliden, dann auf jeden Fall mit Leuten, die wir hier kennengelernt haben und die wir sehr sympathisch finden! :-)

Marshrutkas

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Ich stelle euch heute mal das öffentliche Verkehrsmittel vor, das hier in Russland am häufigsten verwendet wird: Marshrutkas.
Hier in Nishnij gibt es eine ganze Spannweite an öffentlichen Verkehrsmitteln, ich zähle sie einfach mal auf, damit man ein kleines Bild davon hat: es gibt hier normale Busse, Trolleybusse, Trams (Straßenbahnen) und sogar eine U-Bahn (genannt Metro) und dazu gibt es die Möglichkeit sehr günstig mit Taxen zu fahren, auch mit sogenannten „schwarzen Taxen“, indem man einfach die Hand raushält auf der Straße und jemand plötzlich anhält und einen mal für etwas mehr, mal für etwas weniger Geld dahin bringt, wo man hin möchte. Diese haben natürlich den Vorteil, dass man sie nicht vorher bestellen muss, so wie die normalen, bzw. legalen, Taxen.

Aber wir beschäftigen uns heute mal mit dem Phänomen Marshrutka (den Beitrag schreibe ich übrigens gerade, während ich in einer sitze).
In einer großen Stadt wie Nishnij sind sie ziemlich wichtig, weil sie kleiner sind als normale Busse und daher viel wendiger und deshalb in einem russischen Verkehr – den man ja wohl mittlerweile genügend durch sämtliche YouTube-Videos kennt – viel schneller und besser vorankommen, als die großen Busse. Die Größe erlaubt es ihnen beispielsweise in einem Stau einfach zu überholen, wie ein normales Auto.
Marshrutkas sind wohl das am häufigsten verwendete Verkehrsmittel hier. Deshalb gibt es so viele davon, die in alle möglichen (und nicht-möglichen!) Ecken von Nishnij fahren.
Man sollte sie niemals mit den Bussen verwechseln, so wie es mir vorgestern auf dem Weg zum Waisenhaus passiert ist. Ich habe nämlich statt der Marshrutka 41 den 41er Bus genommen und fand mich plötzlich auf einem Busparkplatz wieder, auf dem ich sicher nicht landen wollte. Nach ewig langer Rumfragerei und der netten Hilfe des Busfahrers und einer Frau bin ich letztendlich nach 2 Stunden Fahrt angekommen.
„Wieder was gelernt!“, dachte ich mir dann, denn man will ja alles positiv sehen.
Außerdem muss man beachten zu welcher Uhrzeit man hier losfährt, damit man nicht – wie Jan-Philipp und ich gerade – in einen großen Stau auf der Brücke gerät, die in den unteren Teil der Stadt führt.
Das sind die wichtigsten Dinge, die man hier wohl beachten muss.
Kommen wir nun zum allgemeinen Wesen einer Marshrutka:
Sie sind klein, sie sind dreckig und in ihnen ist es viel zu warm. Aber sie sind unglaublich liebenswert!
Wir fahren zB viel lieber mit einer Marshrutka, als mit den uns aus Deutschland bekannten Bussen, weil sie eben schneller sind und kuschelig.
Sie ruckeln ziemlich, was an den defekten Federungen und Straßen hier liegt.
Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob die Fahrer einfach unglaublich gut oder unglaublich schlecht fahren, denn einerseits scheint es, als könnten die wenigsten hier richtig schalten. Andererseits habe ich trotz des gefährlichen Fahrstils der meisten noch keinen Unfall mitgekriegt, aber das kann ja noch kommen 😀
Meist sieht es so aus, als hätten die Fahrer jeweils ihr eigenes Fahrzeug, das sie so einrichten, wie es ihnen beliebt, denn oft hängen in ihnen bunte Gardinen und etwas Schmuck, manchmal findet man eine Ikone vor und oft telefonieren die Fahrer während der Fahrt und während sie laut ihre Lieblingsmusik hören. Diese „kleinen“ Dinge machen eine Fahrt doch öfter mal sehr angenehm und amüsant und lassen einen gerne über den Fahrstil hinweg sehen.
Eine Sache fasziniert mich hier jedoch sehr, die in Deutschland nicht anzutreffen ist: die Ehrlichkeit mit der die Menschen hier die öffentlichen Verkehrsmittel verwenden.
Steigt eine Person ein, gibt es zwei Möglichkeiten – entweder geht sie sofort zum Fahrer und kauft sich ein Ticket oder sie setzt sich hin und gibt das Geld nach vorne durch und das Ticket wird ihr nach hinten weiter gegeben… und das ohne, dass sich jemand das Geld oder Ticket einsteckt oder die Person einfach schwarz fährt.
In anderen Verkehrsmitteln hingegen gibt es meist aber etwas grimmige alters Damen, die sich ganz genau merken, wer gerade eingestiegen ist, und sofort zu den neuen Fahrgästen gehen, um abzukassieren.
Eine weitere und letzte Sache, die man hier vermutlich beachten muss ist, dass man nie zu lange zögern darf beim Einstieg oder wenn man überlegt, ob man diese oder jene Marshrutka wirklich nehmen möchte – denn dann fährt sie einem schon vor der Nase weg!
Das ist mir nämlich auch neulich passiert, als eine Frau mich fragte, wie man am besten zu einem Einkaufszentrum kommt.
Und da man hier leider nie weiß, wann was fährt und in welchen Abständen (anders, als in Deutschland, wo es genaue Fahrpläne gibt und man sich manchmal schon aufregt, weil die Bahn nur eine Minute zu spät kommt), ist das manchmal sehr blöd! 😀
Vor allem, wenn es jetzt demnächst anfängt kälter zu werden.

Und jetzt, da ihr gerüstet seid und gut informiert, wünsche euch eine gute Fahrt, falls es euch mal ins schöne Russland verschlagen sollte! 😀

P.S.: Das Foto habe ich auf einem großen Platz aufgenommen, an einer der wichtigsten Haltestellen hier.. vielleicht erkennt man es nicht so gut – aber in dem Auto auf dem Bild schläft ein Kerl.

Piroshki oder Chebureki oder so

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So. Nachdem wir jetzt schon alle möglichen Variationen mit Kartoffeln durch haben hier, von Bratkartoffeln über Kartoffelsuppe (die Nudeln sind hier nämlich meistens echt schlecht), kommen heute mal Teigtaschen, gefüllt mit Kartoffeln und Knoblauch – frittiert! 😀
Wie sie heißen, weiß ich nicht so genau. Aber ich glaube, es sind Chebureki, zumindest haben sie die Form von welchen!